Offenes Denkmal

Mit seiner 156-jährigen bewegenden Geschichte ist das Haus in der Fehrbelliner Straße 92 ein historischer Ort und ein außergewöhnliches Denkmal. Es wurde 1864 erbaut, und 1910 vom Jüdischen Kinderheim e. V. gekauft und zu einer Kindertages- und Ausbildungsstätte für jüdische Kinder und Jugendliche umgebaut. Heute beherbergt es unser Stadtteilzentrum und weitere soziale Organisationen. Doch es ist auch ein Ort, an dem wir jüdische Geschichte in Berlin über mehr als ein Jahrhundert greifbar machen. Aus dem gesammeltem Archivmaterial und Zeitzeug*innen-Aussagen ist eine Dauerausstellung entstanden, die zu unseren Öffnungszeiten besucht werden dann.

Ein Denkmal …

„Unser“ Haus wurde 1864 als eines der ersten Häuser auf den nördlichen Anhöhen vor den Toren Berlins gebaut. In den ersten 46 Jahren war es ein Wohnhaus. 1910 wurde es vom Jüdischen Kinderheim e. V. zusammen mit einem erheblichen Teil des Nachbargrundstückes gekauft und zu einer Kindertages-und Ausbildungsstätte für jüdische Kinder und Jugendliche umgebaut.

Die heutige Außenfassade lässt nichts ahnen von dem Baustilhaus dieser Zeit, von dem die Besucher*innen erst im Hof überrascht werden. Großzügige Terrassen, Fensterbögen und die malerische Gestaltung einer aufeinanderfolgenden Komposition von Arkade, Balkon und Aussichtsplattform verleiht dem nach Süden gerichteten Teil des Hauses einen mediterranen Charakter.

Der weite Blick von oben, den es einst gegeben hat, ist heute verstellt, nur der Fernsehturm scheint zum Greifen nahe. Heute beherbergt das Haus das Stadtteilzentrum Prenzlauer Berg.

… und seine Zeitzeug*innen

Eines Tages im Sommer 1997 kam ein älterer Herr zu uns ins Stadtteilzentrum. Der Besucher kam von weit her, aus Kanada. Er stellte sich uns vor und erzählte, dass er als als Kind hier gelebt habe: als kleiner Junge, in den 1930er Jahren, in einem jüdischen Kinderheim. Wir setzten uns, tranken Kaffee und er erzählte. Das war der Beginn einer jahrzehntelangen und bis heute währenden Arbeit zur Geschichte des jüdischen Kinderheims.

Recherchen ergaben, dass unser Haus von 1910 bis 1942 ein Kinderheim mit Hort, Bibliothek und Kindergarten für jüdische Kinder war, oft aus bescheidenen Verhältnissen. Die allermeisten der Kinder wurden deportiert und ermordet. Nur wenige überlebten. Manche entkamen durch die „Kindertransporte“.

Der älteste Zeitzeuge, Jakob, hat in den 1920er Jahren gemeinsam mit anderen Jungen und Mädchen den Kindergarten und Hort besucht. Von ihm haben wir erste Anhaltspunkte erhalten, da er die klassische deutsche Literatur in der Bibliothek und den freien Geist des Hauses schätzte. Anfang der 1930er Jahre gab es bereits ein paar Unterkunftskinder wie David, die nur an den Samstagen nach Hause geschickt wurden und am Abend gern in die Obhut des Kinderheimes zurückkehrten, wo sie gut versorgt worden sind. Alle anderen Zeitzeug*innen dieser Jahre waren im Kindergarten oder im Hort.

1936 wurde das Kinderheim wegen der sich zuspitzenden Bedrängnis und Entrechtung der jüdischen Nachbar*innen zu einer größeren Unterkunft umgebaut. Sechs Jahre später, 1942, wurden die letzten Kinder und Betreuerinnen aus dem Haus vertrieben. Ihr Weg führte über das nahe gelegene Manheimersche Altenheim in die verschiedenen Konzentrationslager. Einige von ihnen überlebten die Grausamkeiten.

Entweder waren sie mit dem Kindertransport nach England gekommen, oder sie wurden auf abenteuerliche Weise gerettet, so wie die heute noch in Israel lebenden Zwillinge Ruth und Regina.

Die Püppchen aus der Auguststraße

Doku vom RBB

Die Zwillinge Ruth und Regina sind in der Auguststraße in Berlin Mitte groß geworden. Ihre Mutter starb früh, und sie kamen ins jüdische Kinderheim. Nur knapp haben sie den Holocaust überlebt. 2015 sind sie noch einmal von Israel nach Berlin Mitte gekommen und haben uns die Orte ihrer Kindheit und ihrer Träume gezeigt. Als Kinder wollten sie Bühnenstars werden. Doch alles kam anders.
Video verfügbar bis 04.07.2025

Wir nehmen seit 2007 an dem alljährlich im September stattfindenden Berliner „Tag des offenen Denkmals“ teil. Darüber hinaus gibt es im Stadtteilzentrum wir weitere Veranstaltungen, z.B. Film- und Gesprächsabende, Stolpersteinführungen, und andere.

Auf Anfrage bietet unsere ehrenamtliche Expertin, Susanne Besch, weiterführende Bildungsangebote (Projekttage, Kiezspaziergänge, Lesungen und weiteres) für Jugendliche, Schulklassen und Interessierte an. Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine Email!

Dauerausstellung

Mit einer Dauerausstellung im zweiten Obergeschoss des Hauses möchten wir die Erinnerungen an den Alltag der Kinder, die hier gelebt haben, erhalten und zugleich an das jüdische Leben in unserem Stadtteil erinnern.

Die meisten der dort ausgestellten Fotos stammen von Abraham Pisarek (*1901, †1983). Er war ein bekannter Berliner Theaterfotograf und als Jude während des Nationalsozialismus mit einem Berufsverbot belegt. So kam es, dass er sein fotografisches Arbeiten in dieser Zeit auf das jüdische Leben verlagerte. So hat er in den 1930er Jahren die Kinder und Jugendlichen mit ihren Betreuerinnen im Haus fotografiert. Pisareks Tochter, Ruth Groß, hat uns zahlreiche Fotos aus dem Archiv ihres Vaters zur Verfügung gestellt. Zusammen mit weiteren Fotografien, historischen Bauunterlagen und Zeitzeug*innenberichten konnten wir die Dauerausstellung in heutiger Form umsetzen.

Diese Audio-Aufzeichnungen entstanden bei einer Führung durch die Dauerausstellung, es spricht Susanne Besch, langjährige Mitarbeiterin im Stadtteilzentrum. Wandern Sie mit ihr von Foto zu Foto und tauchen Sie ein in die Geschichten der Kinder und ihrer Betreuer*innen.

Interessierte sind herzlich eingeladen, uns in der Fehrbelliner Straße 92 zu besuchen und die Ausstellung in der zweiten Etage zu besichtigen.

Wir danken

Ruth Gross, die uns das Fotoarchiv ihres Vaters Abraham Pisarek zur Verfügung gestellt hat.

Inge Franken (†2012), langjährige Mitarbeiterin des Stadtteilzentrums, die die Erforschung der Geschichte unseres Hauses maßgeblich vorangetrieben hat.

Susanne Besch, ebenfalls langjährige Mitarbeiterin im Haus, die diesen verloren geglaubten Teil der Geschichte mit gehoben hat und bis heute ehrenamtlich lebendig hält.

Allen Zeitzeug*innen, die zu uns gekommen sind und ihre Geschichten und Schicksale mit uns geteilt haben. Einige von ihnen leben immer noch im Prenzlauer Berg, andere haben in Kanada oder Israel eine neue Heimat gefunden. Friede sei mit ihnen und uns allen.

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